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Sechs Monate Umgangsausschluss: Gewalt gegen die Mutter ist psychische Gewalt gegen die Kinder
Im folgenden Fall musste über das Wohl zweier Kinder entschieden werden, die in traurigen Verhältnissen lebten. Ihre Eltern führten eine Beziehung, die durch Gewalt des Vaters geprägt war. Lange Zeit gelang es der Mutter nicht, sich von ihrem Ehemann zu distanzieren, sie ließ eine On-off-Beziehung zu und bagatellisierte sein Verhalten immer wieder. Das Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) war daher dringend gefragt.
Der Vater, der zu viel Alkohol trank, war zwischenzeitlich auch mal wegen Körperverletzungsdelikten gegen andere Personen in Haft. Zudem gab es mehrere Gewaltschutzverfahren, bei denen über 30 Vorfälle thematisiert wurden. Bei einigen dieser Vorfälle waren auch die Kinder zugegen - zuletzt, als der Vater der Mutter das Nasenbein brach und die Nachbarin den Rettungswagen rief, nachdem die Kinder vom Balkon aus um Hilfe gerufen hatten. Nach diesem Vorfall trennte die Mutter sich. Ein Gutachter bescheinigte dem Vater aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung und fehlender Einsicht eine hohe Rückfallgefahr. Vor dem Familiengericht ging es daher um die Rechtsfrage, ob der - zunächst vom Kinderschutzbund begleitete - Umgang des Vaters mit den Kindern für mindestens zwei Monate ganz ausgesetzt werden dürfe. Allerdings hatte es bisher keine Gewalt gegen die Kinder selbst gegeben, "nur" gegen die Mutter. Während einer Umgangsbegleitung durch den Kinderschutzbund konnte man auch davon ausgehen, dass den Kindern kein körperliches Leid geschehen würde. Deshalb argumentierte der Vater damit, der begleitete Umgang sichere, dass das Kindeswohl nicht gefährdet sei.
Allerdings beurteilten dies sowohl das Amtsgericht (AG) als auch das OLG anders. Kinder sind abhängig von demjenigen, der sie betreut und versorgt, und identifizieren sich mit ihm. Deswegen erleben sie Gewalt gegen den betreuenden Elternteil auch als Bedrohung gegen sich selbst, ihr eigenes Stresssystem reagiert intensiv. Es liege auf der Hand, dass die Kinder erhebliche Ängste und Ohnmachtsgefühle erlebt hatten, als sie auf den Balkon liefen und um Hilfe schrien. Beide Kinder haben ihre Mutter voller Blut gesehen. Noch bei der Anhörung der Kinder beim AG mehrere Monate später wirkten sie belastet und konnten über das Geschehen nicht frei sprechen. Hinzu komme, dass dies nicht das erste Mal war, dass sie die Gewalt des Vaters gegen die Mutter miterleben mussten. Danach könne ein Umgang bei von den Kindern miterlebter schwerer häuslicher Gewalt in der Regel frühestens dann wieder in Betracht kommen, wenn die Kinder bereit sind, den Täter wiederzusehen, und verlässlich folgende Fragen geklärt sind:
- Hat der nachweislich gewalttätige Elternteil sich nicht nur zu seinen Taten bekannt, sondern auch in tragfähiger Weise Verantwortung dafür übernommen?
- Hat der gewalttätige Elternteil Wege erarbeitet, wie er dem Kind sein Bedauern über die ihnen zugefügte Belastung zum Ausdruck bringen und sich adäquat im Umgang mit ihnen verhalten kann?
Solange diese Fragen nicht geklärt sind, ist der Umgang in der Regel zumindest vorläufig auszuschließen. Auch begleiteter Umgang vermag Kinder andernfalls nicht vor der psychischen Belastung zu schützen. Der Ausschluss jeglichen persönlichen Umgangs mit den Kindern für insgesamt sechs Monate entspricht angesichts der noch vorhandenen Belastungen der Kinder der Verhältnismäßigkeit, zumal das AG dem Vater gestattet hatte, den Kindern zu Ostern und zum Geburtstag Geschenke mit einem Begleitbrief zukommen zu lassen.
Hinweis: Die Tatsache, dass die Eheleute jetzt getrennt leben, mindert die Gewaltbereitschaft solcher Täter leider nicht. Insofern haben Forschungen ergeben, dass das Risiko, weiter Gewalt zu erleben oder sogar getötet zu werden, nach dem Ende der Beziehung andauert bzw. sogar höher ist als zuvor.
Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 16.05.2024 - 11 UF 329/24(aus: Ausgabe 08/2024)
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